Our Story

Vom Stadtteilprojekt zum etablierten Tech-Festival

Im Jahr 2017 nahm eine Idee ihren Lauf, aus der mittlerweile eines der Top-Events für Virtual und Augmented Reality in Deutschland hervorgegangen ist. Matthias Krentzek und Roman Pilgrim kamen zusammen und entwickelten ihre Vision von einem Tech-Festival mitten im Ruhrgebiet. Seit seinem Start konnte das Places Festival tausende Menschen nach Gelsenkirchen-Ückendorf locken. Doch was steckt hinter dem Erfolg? Im Interview erzählen die beiden Initiatoren, woher die Idee dazu kam, was sie inspiriert und wohin sie mit dem Festival steuern.

Matthias, Roman, was ist eigentlich das Places Festival und wie ist es dazu gekommen?

Matthias: Die Idee hatten wir 2017, als der Hype um VR groß war – zumindest in Deutschland. Man muss dazu sagen, wir hatten damals wenig Ahnung von dieser aufregenden neuen Technologie, aber uns war klar, wir wollen da rein, diese Technologie, die neue Orte entstehen lässt, hier vor Ort ins Quartier bringen. Das ist auch immer noch unsere Mission. Danach wurden wir von unserem eigenen Erfolg überrannt. “Places” ist viel größer geworden, als wir es uns 2017 ausgemalt haben.
Ich habe noch unsere erste Pressekonferenz sehr lebendig in Erinnerung, bei der wir das Programm vorgestellt haben. Die Presse mit fünf Kamerateams, in einem eigentlich winzigen Raum. Im Team waren wir auch sehr dünn besetzt und haben Nächte durchgearbeitet. Das Ganze ist echt explodiert.

“Places” ist viel größer geworden, als wir es uns 2017 ausgemalt haben.

Roman: Eigentlich setzt die Geschichte noch früher an. 2016 haben die Jungs vom VRoom ihre VR-Gaming-Arcarde hier auf der Bochumer Straße gegründet. Dadurch ist auch die Wirtschaftsförderung im Rahmen der Stadtteilentwicklung auf das Thema aufmerksam geworden. Ich wurde in meiner damaligen Rolle als Stadtentwickler mit der Ursprungsidee angesprochen, VR-Popup-Tage zu veranstalten, ich war aber schnell mit dem Gedanken bei etwas größerem – einem VR Festival, konnte das aber nicht alleine stemmen und ich habe mich dann in unserem lokalen Kreativen-Verein“Insane Urban Cowboys” nach jemandem umgeschaut, der diese ambitionierte Vision mitgeht. Ich wusste, dass Matthias mich durch seine strukturierte Arbeit sehr gut ergänzt und zum Projekt passen würde. Aber er wusste wahrscheinlich nicht, was auf ihn zukommt – ich aber auch nicht (lacht).
Wir hatten schnell einen gewissen Anspruch an das Ganze, haben viel Netzwerkarbeit betrieben und uns eingearbeitet. Dabei haben wir schnell gute Leute kennengelernt, die uns wertvolle Tipps und Unterstützung gegeben haben. Wir haben uns die Nächte um die Ohren gehauen, um ein Eventkonzept zu erstellen und ein Programm aus dem Hut zu zaubern. So ist aus Places 2018 ein Erfolg geworden.

Erklärt doch noch einmal ganz kurz: Was ist das Places Festival überhaupt – oder anders gefragt: Was macht das Festival aus?

Roman: Das Places Festival 2018 war Deutschlands erstes frei zugängliches VR Festival. Wir wollten unbedingt, dass es “auf der Straße” stattfindet und an ganz viele verschiedene Orte gehen – Places eben! Es sollte eben keine Messeveranstaltung werden – und ich glaube, das ist auch etwas, das den Erfolg ausgemacht hat. Wir haben Programmpartner:innen eingeladen, die normalerweise in Messehallen stehen und dafür Ausstellergebühren bezahlen müssen. So wie für die Besucher:innen war das Festival von Anfang an auch für Programmpartner:innen kostenlos. In unserem Open Call 2018 haben wir Fotos der unterschiedlichsten Locations vom hochtechnologisierten Wissenschaftspark bis hin zu einem Rohbau angefügt und die Leute einfach gefragt, wo sie sich und ihre Anwendung auf dem Festival sehen. Die Begeisterung auch für Off-Locations war groß und wir haben gemerkt: Wir sind auf der richtigen Spur.

Der Startschuss fiel dann im April 2018 – das mit viel Motivation und Engagement umgesetzte erste Places Festival wurde mit gutem Feedback, hoher Medienresonanz und vielen Besucher:innen belohnt. Von hier an ging es weiter: Wie können noch besser spannende Verbindungen geknüpft werden, wie kann mehr gesellschaftlicher Mehrwert entstehen? Und wie kann der eingeschlagene Weg zwischen Consumer- und Businessevent weiter konsequent gegangen werden?

Was würdet ihr sagen, welches Ziel ihr mit der Veranstaltung verfolgt? Was motiviert euch?

Matthias: Zwei Dinge sind uns besonders wichtig. Zum einen ist es die Demokratisierung von Tech- und Zukunftsthemen. Das ging mit XR im Allgemeinen los und bezieht sich jetzt auf das riesige Buzzword “Metaverse”. Wir glauben, dass es sehr wichtig ist, sich jetzt schon mal mit dem Thema zu beschäftigen. Mitreden zu können, bevor in 5 Jahren das Metaverse da und so groß ist, dass niemand mehr Einfluss darauf hat und alles von Großkonzernen bestimmt wird. Uns war klar, dass, wenn sich diese Technologie durchsetzt, sie in allen Bereichen der Wirtschaft und des Lebens eine Rolle spielen wird. Deshalb wünschen wir uns, dass Besucher:innen dieser Konsumenten-Rolle entkommen können und sich mit den Machern der Technologie auf Augenhöhe austauschen können. Als Ziel ist das ambitioniert und ein dickes Brett, was wir bohren wollen. Gerne wird der deutschen Gesellschaft ja diese “German Angst” nachgesagt. Alles was neu ist, wird erstmal zurückgewiesen. Wir möchten genau da ansetzen und stattdessen neugierig machen. Diese VR-Brillen und andere Technologien, die die Leute nur aus dem Fernsehen kennen, mal direkt hier hinzuholen. Die Möglichkeit geben, Dinge auszuprobieren und selbst zu erleben.

Roman: Am Anfang haben wir auch wirklich mit uns gerungen, ob wir ein B2B oder B2C Festival machen wollen. Wir haben uns dann aber gefragt, ob man das wirklich voneinander trennen muss. Ob das nicht für beide Gruppen interessant sein könnte. Also gleichzeitig die XR-Szene zusammenbringen und “normale” Bürger:innen mit der Technologie in Berührung bringen. Unser Traum war immer, dass sowohl die Oma von nebenan, als auch die Businesswoman im Kostüm gleichzeitig ein Event besuchen können und beide davon etwas haben.

Matthias: Zum anderen wollen wir das Quartier hier nach vorne bringen und beweisen, dass man ein Festival hier sehr gut umsetzen kann. Dass das geht, haben uns alle bestätigt, die regelmäßig hier waren. Das einhellige Feedback ist, dass das Places eine besondere Atmosphäre hat. Es ist uns wichtig, dass wir in der Stadt und im Stadtteil keine blühenden Landschaften inszenieren, sondern, dass alles sehr “echt” ist, wie das Leben hier auch ist. Die Atmosphäre ist urban und auf Augenhöhe.

“Unser Traum war immer, dass sowohl die Oma von nebenan, als auch die Businesswoman im Kostüm gleichzeitig unser Event besuchen!”

Roman: Zudem sind wir natürlich auch selber von dieser Technologie überzeugt. Wir haben die Brillen ja selbst auch aufgesetzt und waren gleichzeitig begeistert und neugierig. Ich bin überzeugt, dass Extended Reality die nächste große Technologie nach dem Smartphone ist. Erst recht, wenn jetzt ein Player wie Apple in den Markt einsteigt.

Nicht nur bei den Besucher:innen der Veranstaltung ist Neugier ein wichtiger Faktor, auch bei den Machern spielt die Lust aufs Neue immer eine große Rolle. Roman und Matthias kommen ursprünglich gar nicht aus der XR-Branche, geschweige denn aus dem Technologiebereich. Während Roman sowohl künstlerisch als auch in der Stadtentwicklung und im Marketing tätig war, liegt Matthias Background im Bereich Kommunikationsberatung, Gestaltung und Projektmanagement.

Wie war das so, als “Fremder” in diese XR-Szene zu kommen? Welchen Hintergrund habt ihr?

Matthias: Also, es war ja nie ein Geheimnis, dass unsere Reise in die XR-Technologien 2017 angefangen hat und wir blutige Anfänger waren, auch wenn digitale Technologien schon immer eine Rolle in unserem Leben gespielt haben. Relativ schnell haben wir Kontakt zu Menschen aufgenommen, die sich bereits deutlich länger mit dem Thema beschäftigen. In den letzten Jahren konnten wir viel tiefer in das Thema eintauchen. Die Neugier hat uns angetrieben. Wir haben versucht, das Projekt mit dem zu verbinden, wo wir herkamen. In Romans Fall ist das die Stadtentwicklung, die untrennbar mit Places verbunden ist. Bei mir ist es eher Kommunikation – auch das ist bei so einer Veranstaltung ein wichtiger Faktor neben dem Fachlichen.

Roman: Genau, unser Background ist im Bereich Marketing und Kommunikation, bei mir aber auch Kunst und Kultur. Wir sind kein VR-Kunstfestival, aber das spielt trotzdem immer eine Rolle. Für Besucher:innen fühlt sich Places ein wenig wie ein Kulturfestival an. Wir denken, dass Kunst und Kultur ein gutes Mittel sind, um das Viertel wieder nach vorne zu bringen. Der wirtschaftliche Aspekt ist dabei auch nicht zu vergessen. Diese Technologie gibt einen Antrieb und fördert den Gründergeist in der Region. Und diese Beschäftigung mit “Neuem” ist gerade wichtig für Gelsenkirchen und das Ruhrgebiet.

Die Gamescom ist in Köln daheim, die CES in Las Vegas, zur SXSW fährt man nach Austin und der MWC lädt seine Besucher:innen nach Barcelona ein. Ein Tech-Festival in Gelsenkirchen zu veranstalten scheint unter diesem Gesichtspunkt zumindest mutig. Mitten im Ruhrgebiet, in einem vom Strukturwandel und von realen sozialen Problemen geprägten Stadtteil. Offensichtlich ist es nicht, warum gerade hier Deutschlands größtes Event für XR-Technologie stattfindet.

Warum habt ihr euch als Veranstaltungsort für Gelsenkirchen-Ückendorf entschieden?

Roman: Für die Stadt Gelsenkirchen war das eine Chance, in so einem Bereich ganz früh mit dabei zu sein. Die Lage in Ückendorf war dafür ideal. Die Anbindung für Besucher:innen ist sehr gut, es gibt viele flexibel bespielbare Orte und man kann fußläufig in kurzer Zeit sehr viel erleben. In diesem Jahr gehen ja noch einen Schritt weiter und wachsen mit der Veranstaltung über Ückendorf hinaus und sind mit unserem Programm in der Innenstadt und in Schalke präsent.

Für die Stadt Gelsenkirchen war das eine Chance, in so einem Bereich ganz früh mit dabei zu sein.

Matthias: Daher kommt übrigens auch der Name: Places. Die unterschiedlichen Orte im Quartier waren uns wichtig. Und jetzt ebenso die Orte in ganz Gelsenkirchen. Was man aber nicht falsch verstehen darf: Wir machen das Festival nicht nur für Gelsenkirchen und seine Anwohner:innen. Von Anfang an, seit 2018, haben mehr Leute von außerhalb das Festival besucht, als aus Gelsenkirchen und mittlerweile tummeln sich auch internationale Besuchende. Wir versuchen da einfach gesamtgesellschaftlich zu denken, frei nach dem Motto: Think global, act local.

Wie kommt es, dass das Festival kostenlos ist? Braucht man gar kein Ticket?

Matthias: Ganz wichtig: Wir wollen, dass sich das jeder leisten kann. Jeder soll hier spontan vorbeikommen können, komplett barrierefrei, ohne sich registrieren zu müssen. Wir wollen auch für unsere Programmpartner:innen keine Standgebühren wie bei einer Messe verhängen, sondern gerade auch die Leute anlocken, die noch mit ihrem XR-Projekt früh dran sind, die vielleicht etwas haben, was noch nicht auf dem Markt ist – die, die noch experimentieren.

Es geht uns um einen gemeinschaftlichen Gedanken.

Roman: Von Anfang an waren wir eine Plattform, die von der Community mitgestaltet wird. Wir bieten den Raum, die Community liefert ganz viel vom Inhalt. Es geht uns um einen gemeinschaftlichen Gedanken.

Zu guter Letzt noch eine Frage: Was glaubt ihr, wird 2024 anders als im Vergleich zu den Vorjahren sein? Worauf können sich die Leute einstellen?

Matthias: Wie schon erwähnt: Wir wachsen über das Quartier an der Bochumer Straße hinaus. Mit einzelnen XR-Experiences und Programmteilen in Gelsenkirchen-Schalke und in der Innenstadt erreicht die Veranstaltung auch noch einmal ganz andere Menschen hier vor Ort – und bietet unseren Besucher:innen gleichzeitig die Gelegenheit, noch mehr spannende Orte in unserer Stadt zu erleben.

Roman: Aber nicht nur örtlich dehnen wir uns aus. Auch der Festival-Zeitraum ist weiter gefasst. Erste Programmteile die XR-Ausstellung FeVR-Pitches beginnen bereits zwei Wochen vor dem Haupt-Besuchertag. Der Kernzeitraum des Festivals sind 10 Tage, die in einem Highlight-Tag am 25.05. münden. Und auch danach kann man einzelne Teile des Festivals weiterhin erleben, wie z.B. die Ausstellung unserer XR-Art-Residents. Man sieht: Places steht nicht still, Places entwickelt sich wie auch die Technologie immer weiter. Wir freuen uns über alle, die den Weg mit uns zusammen in Richtung Zukunft gehen!